Gert Postel
G e s e l l s c h a f t

 
 
Wie ein Postbote die Psychiatrie überführt...
...und zum Schirmherrn Psychiatrie-Erfahrener wurde!
 
 
Was ist Therapie? 
oder 
„Die Kutte macht den Mönch“ 
 
Betrachtungen zum Fall Gert Postel  
von Dario Lindes 
Im Anschluss an unser Wilhelm-Reich-Forum am 13. Februar, einer Diskussion zum kontroversiellen Thema „Was sucht der Mensch in der (Psycho-)Therapie“, kamen mir noch ein paar Gedanken zum Großkomplex „Therapie und Heilung“, die ich den Bukumatula-Lesern als eine Art Nachbetrachtung nicht vorenthalten möchte. 
 
Dazu einleitend folgendes Denkbeispiel: 
Stellen Sie sich vor, eines Tages erscheint Ihnen eine gute Fee und bietet Ihnen an, Sie hätten einen Wunsch frei, den sie Ihnen sofort erfüllen wird, mit der Einschränkung, dass nur zwei Auswahlmöglichkeiten gegeben sind:  
 
1) Die Fee macht, dass Sie in Ihrer Tätigkeit der/die Beste WERDEN, 
oder 
2) sie macht alle Leute GLAUBEN, dass Sie der/die Beste sind 
 
Für welche der beiden Varianten würden Sie sich entscheiden? 
 
 
Einleitung: Fallgeschichte 
 
Im Vorjahr wurde ein Mann durch mehrere österreichische („Vera“) sowie bundesdeutsche Talkshows („Fliege“, „Biolek“) gezogen, der sich Mitte der 90er Jahre in einem ostdeutschen Spital einen spektakulären Coup erlaubt hatte, welcher nach seiner Aufdeckung haushohe mediale wie juristische Wellen schlug:  
Der gelernte Briefträger Gert Postel, ohne höhere Schulbildung, gab sich – nach dem Vorbild des berühmten „Hauptmann von Köpenick“ - in einem sächsischen Krankenhaus als Psychiater aus. Er praktizierte an der dortigen psychiatrischen Abteilung erfolgreich als Oberarzt und leitender Chef-Assistent! Auf diesem Spitalsposten blieb er fast zwei Jahre unentdeckt und flog letztendlich nur durch einen dummen Zufall auf - er hatte aus eigener Unvorsichtigkeit seinen echten zusammen mit seinem gefälschten Ausweis irgendwo liegen gelassen – sonst würde er vermutlich noch heute ebendort als Psychiater arbeiten!

Über seinen Werdegang, seine Bewerbung, wie er zu dieser Anstellung kam, und die Praxiszeit im Spital schrieb er ausführlich in seinem Buch „Doktorspiele“*) – es sei jedem (psycho-) therapeutisch Tätigen als Pflichtlektüre ans Herz gelegt! 
Das Buch hatte er in der Haft als eine Art Memoiren – und wohl auch zur eigenen Rechtfertigung - geschrieben. Eine Freundin, die selbst in einem sächsischen Gefängnis als Kunsttherapeutin tätig ist und deshalb von Berufs wegen diesen Fall besonders interessiert mitverfolgt hatte, empfahl mir dieses Buch und prophezeite mir gleich vorweg: „Wenn Du dieses Buch anfängst zu lesen, kannst Du nicht mehr aufhören.“ Und so kam es dann auch. Es war für mich das durchschlagendste, spannendste, unterhaltsamste, witzigste, aber auch deprimierend entlarvendste Buch, das ich seit Jahren gelesen hatte, und es sollte meine bisherige Sichtweise auf den ganzen Themenkomplex (Psycho-) Therapie, Psychologie, Psychiatrie zutiefst erschüttern. Als Folge fing ich an, mir einige kritische Fragen zum Psycho-Metier zu stellen, die all meine Überzeugungen bezüglich den Heils- und Therapiebetrieb einmal deutlich auf den Kopf stellen sollten. 
 
Wie wird man Therapeut? 
 
Wer ist also dieser Mann, dem es gelungen ist, die offizielle Therapiewelt dermaßen übel hinters Licht zu führen? 
Als sich Gert Postel 1995 für die vakante Stelle eines psychiatrischen Oberarztes an dem kleinen Landkrankenhaus im sächsischen Zschadraß bewarb, hatte er bereits eine lange Latte an betrügerischen Erfahrungen als Arzt (und ein ebenso langes Vorstrafenregister) hinter sich: Anfang der 80er Jahre arbeitete Postel erstmals als Assistenzarzt in einem Fachklinikum für psychotherapeutische Medizin in Oldenburg. Danach bekleidete er eine Arztstelle beim Reichsbund-Berufsbildungswerk in Bremen. 1982 ließ er sich als Mediziner bei der Bundeswehr mustern und bewarb sich unter Verwendung gefälschter Zeugnisse als Stabsarzt.  

Nach Aufdeckung des Schwindels – ohne strafrechtliche Folgen, das Verfahren wurde wegen „Unwesentlichkeit“ eingestellt - bewarb sich Postel noch im selben Jahr (!) als stellvertretender Amtsarzt beim Gesundheitsamt in Flensburg und bekleidete diesen Posten ein halbes Jahr lang. Danach bewarb er sich erfolgreich für eine Assistentenstelle in der Psychiatrie der Universitätsklinik Kiel, die er wohl auch angetreten hätte, wenn er nicht zuvor aufgeflogen wäre: erste U-Haft und Bewährungsstrafe.  

In den Folgejahren viele kleinere, aber nicht-ärztliche Gaunereien und Betrugsdelikte u.a. wegen fortgesetzter Amtsanmaßung und unerlaubter Führung akademischer Titel sowie Erschleichung einer Studienberechtigung (er studierte 1989/90 in Münster Katholische Theologie und schaffte eine persönliche Audienz beim Papst, mit Foto dokumentiert!). Von 1990 - 93 war er als Dermatologe in einem „Haar-Institut“ tätig; 1994 wurde er Begutachtungsarzt für sozialmedizinische Gutachten im Berufsförderungswerk Berlin-Brandenburg. 1995 folgte dann die (vorläufige) Krönung seiner betrügerischen Mediziner-Karriere: sein „Abenteuer“ in eben jenem sächsischen Krankenhaus von Zschadraß, das ihn bis weit über die deutschen Grenzen hinaus berühmt machen sollte. Bis 1997 praktiziert er als Oberarzt in der dortigen psychiatrischen Abteilung. 1997 Enttarnung, 1997/98 Flucht, ab Mai 1998 U-Haft, 1999 Verurteilung im größten deutschen Schauprozess seit dem Reichstagsbrand zu vier Jahren Haft in Leipzig, nach zwei Drittel Verbüßung Freiheit auf Bewährung. Danach zahlreiche Talkshow-Auftritte. Und in Zukunft? 

Wir müssen uns diesen Sachverhalt einmal auf der Zunge zergehen lassen: ein einfacher kleiner Briefträger hatte fast 20 Jahre lang nur durch sein überzeugendes Auftreten den gesamten Medizinbetrieb gezielt an der Nase herumgeführt. Das eigentlich Erstaunliche an seinem Fall ist dabei aber nicht, dass es ihm glückte, sich mit List und Tücke, gepaart mit einer großen Portion Kaltschnäuzigkeit und Frechheit in den Spitalsbetrieb hinein zu schwindeln, sondern dass er es schaffte, so lange mit Erfolg in dem System auch zu verbleiben, ohne bei Kollegen, Vorgesetzten und Patienten den leisesten Verdacht der fachlichen Inkompetenz zu erwecken.  

Wenn jemand über so einen langen Zeitraum den Posten eines er-folgreichen Therapeuten bekleidet, welche Qualitäten muss er dann haben? Er ist wahrscheinlich hochintelligent, geistig äußerst rege, flexibel und wach und verfügt über ein hohes Maß an Sensibilität und emotionaler Intelligenz.  

Was kann man von einem „Heiler“ mehr erwarten? Das bringen die meisten legal Praktizierenden in dieser Branche bestenfalls auch mit. Dieser mysteriöse Gert Postel scheint also nicht nur ein grandioser Verstellungskünstler zu sein und das soziale Rollenspiel und die Attitüde eines Arztes/Psychiaters perfekt zu beherrschen, sondern er muss offensichtlich auch etwas von der Heilkunst selbst verstehen.  

Wie sonst wäre denn seine Überzeugungskraft zu erklären? Offen-sichtlich war es ihm auch gelungen, das Vertrauen der vielen Patienten zu gewinnen und ihnen das Gefühl zu geben, in seinen Händen gut aufgehoben zu sein. Jedenfalls wurde er nach seiner Enttarnung niemals wegen eines Behandlungsfehlers angeklagt und verurteilt, sondern nur wegen seines Betrugs, also der Vorspiegelung der falschen Arztrolle (= Amtsanmaßung, Urkundenfälschung, unerlaubte Führung eines akademischen Grades).  

Deshalb sage ich es frei heraus: Gert Postel ist für mich ein therapeutisches Genie! 
Nun werden einige der Leser empört reagieren und einwenden: das ist ja skandalös, wie kann man denn einen so gefährlichen Halunken, der das Heilssystem derart düpiert hat und das Schicksal von vielen hilfsbedürftigen Patienten fahrlässig aufs Spiel gesetzt hat, auch noch entschuldigen und verharmlosen, das ist doch unmoralisch und verantwortungslos! 

Aber halt, nicht zu voreilig urteilen. Denn: kann es vielleicht sein, dass dieser einfache, ungeschulte Mann mehr von (Psycho-) Therapie verstanden hat als so mancher studierte Fachmann auf diesem Gebiet? Denn was die meisten in unserer Gesellschaft immer noch nicht begriffen haben: in Wahrheit ist Therapie Kunst, nicht Wissenschaft! Die Beziehung heilt, nicht das ärztliche Zeugnis. 

Gut, Postel hatte zwar selbst nachträglich eingeräumt, dass er während seiner Zeit in Zschadraß mit direktem Patientenverkehr nur untergeordnet zu tun gehabt hatte und sich vor der persönlichen Verantwortung oft dadurch erfolgreich drücken konnte, indem er heiklere medizinische Tätigkeiten, etwa die Verschreibung von Medikamenten und die Verabreichung von Injektionen, an seine untergebenen Turnus- und Hilfsärzte delegierte - er selbst empfahl zur Therapie eher Naturheilprodukte wie Tees und Kräuter. 

Aber wie konnte es Postel gelingen, auch seine Ärzte-Kollegen und die Vorgesetzten derart zu täuschen? Nichts leichter als das, antwortete er einmal in einer deutschen Talkshow, er habe erkannt, dass die Psychiatrie und die gesamte „Seelenkunde“ ohnehin nur ein völlig nebuloses, nichts-sagendes theoretisches Gebilde ohne Hand und Fuß sei, in dem sich in Wahrheit niemand wirklich auskenne. Jeder echte oder angemaßte „Experte“ könne unwidersprochen behaupten, was er wolle, wenn es nur kompliziert genug klingt und mit vielen unverständlichen Fremdwörtern und Fachausdrücken gespickt ist.

Die ganze „Psycho-Lehre“ sei ein reines illusionistisches Blendwerk, heiße Luft, ein abgehobenes Hirnkonstrukt, wo nur die gekonnte Rhetorik zähle. Es gäbe keine Spur einer wissenschaftlichen Fundierung mit verbindlichen, überprüfbaren Aussagen und Tatsachenbeweisen - das müsse man nur einmal richtig durchschaut haben, dann ergäbe sich der Rest schon von selbst. Und das habe er sich eben zunutze gemacht. Das Bluffen sei in allen medizinischen Disziplinen am leichtesten in der Psychiatrie möglich. „Psychiatrieren, das kann auch ein dressierter Affe.“ (Originalzitat Postel)  

Und er fädelte es schlau ein: während er die stumpfsinnige Knochenarbeit des Ärztealltags seinen karrieresüchtigen Untergebenen überließ, zog er sich in sein Büro zurück, wo er Fachliteratur las und aus ihr die einschlägige Nomenklatur und Fachterminologie einfach auswendig lernte - ein abschreckendes Stück Arbeit, um das ich ihn wahrlich nicht beneide. 

Mit diesem angelesenen Wissen und einem plakativ zur Schau gestellten Fachlatein brillierte er dann rhetorisch bei internen Ärzteschulungen und Patientenvisiten, er hielt Vorträge und Referate vor der versammelten Kollegenschaft und trug so das Image eines souveränen Könners zur Schau. Diese Vernebelungstaktik machte auf alle Eindruck und hatte Erfolg. Im Auditorium wagte offensichtlich niemand bei Unklarheiten nachzufragen, um sich keine Blöße zu geben und sein vermeintliches Unwissen öffentlich einzugestehen. Ein Ärztemärchen frei nach „Des Kaisers neue Kleider“.  

Man sieht, Rhetorik ist eben auch im Ärzteleben bedeutsam, man kann die Menschen nach Belieben manipulieren, wenn man nur gut reden kann. Durch Verwendung von viel Pseudo-Fachsprache lässt sich also Kompetenz vortäuschen. Wann wird wohl ein ähnlicher Hochstapler hochoffiziell auf einem Psychotherapie-Kongress auftreten und dort das Publikum mit abgehobenem Geschwafel zum Narren halten - oder passiert das vielleicht nicht ohnehin schon längst?  

Der französische Psychoanalytiker Lacan nannte Freuds Psychoanalyse einst eine „hermeneutische Wissenschaft“. Die Hermeneutik (griech.) ist die „Lehre von der Auslegung, der Interpretation“. Soll das heißen, dass es sich bei der Erforschung unseres Seelenlebens um eine reine Auslegungssache handelt, also um eine Art „Exegese“ - eine Auslegung, die man drehen und wenden kann, wie man sie gerade braucht? Und das soll dann nur einem erlauchten Kreis von eingeschworenen Experten vorbehalten sein… 

Freilich, in anderen Fachgebieten der Medizin wie z. B. der Chirurgie oder der Zahnmedizin, wo es sehr viel mehr auf handwerkliches Können und überprüfbare Tatsachen ankommt, würde so ein Bluff wie der von Postel natürlich nie durchgehen, das ist klar – nur eben in jener eher spekulativen Lehre von der Psyche und Seele.  
Postel übte sich auch gezielt im Opportunismus, er redete seinen Vorgesetzten grundsätzlich immer nach dem Munde, las ausgesucht ihre wissenschaftlichen Fachpublikationen, um sich über deren aktuellen Stand auf dem Laufenden zu halten, bezog sich in seinen Referaten ausdrücklich auf diese, zitierte sie ausgiebig und strich vor dem versammelten Ärztestab deren wissenschaftliche Qualität hervor. Dadurch erwarb er sich rasch den Ruf eines besonders begabten und tüchtigen jungen Nachwuchsarztes, der jederzeit stets mit Elan und Einsatz zur Stelle war, und ihm wurden immer mehr und mehr verantwortungsvolle Aufgaben übertragen. 

So stieg er in der Spitalshierarchie unaufhaltsam und stetig empor. Aber nun denkt man sich: Bekam er es nie mit der Angst zu tun? Erhöhte sich mit zunehmender Karrierestufe für ihn nicht um so mehr das Risiko der Enttarnung? Dazu Postel im Originalkommentar: „Nein, keineswegs! Im Grunde genommen ist es immer dasselbe: Ab einem gewissen Niveau braucht man als Oberster keinen Finger mehr zu rühren, das erledigen dann alles die Assistenten, und man selbst bleibt unbehelligt.“ Praktisch, nicht? 

Zweifellos, Gert Postel hat uns beschämt! Er hat uns in unnachahmlicher Weise vorgeführt, wie durchschaubar der Therapie- und Heilsbetrieb eigentlich funktioniert, und wie leicht man mit Grips das allgemeine therapeutische Gehabe mit all seinen Allüren imitieren, ja sogar parodieren kann. Er hat uns mit seinem Fall aber nicht nur die Schwächen des Systems aufgezeigt, sondern auch die Chancen, die in dieser Geschichte stecken. 
 
Was zählt denn wirklich beim Heilen? 
 
Was lehrt uns also dieses einzigartige wie sensationelle Beispiel des Gert Postel? Vielleicht, dass ein gelernter Psychiater bei der Behandlung von seelischen Störungen und Erkrankungen im Endeffekt auch nicht mehr Erfolg hat als ein Schwindler, dem man genug Glauben schenkt (= klassischer Placebo-Effekt)? Dass ausgebildete Psychotherapeuten von der menschlichen Seele auch nicht mehr wissen als ein Normalbürger mit Empathie (an welcher es vielen Heilern, Therapeuten, Ärzten durchaus oft mangelt)?  

Müssen wir weiters nicht staatliche Reglementierungsversuche von (Psycho-) Therapie deutlich revidieren und als eher zweifelhaft oder gar unsinnig betrachten? Wir haben in Österreich seit 1991 ein Psychotherapie-Gesetz, welches vom Establishment der etablierten Therapiemethoden als europaweit führend und als vorbildlicher Meilenstein gepriesen wird.  

Aber in der Realität sieht es doch so aus, dass sich hauptsächlich derjenige, der über genügend finanzielle Mittel verfügt, sich durch eine Psychotherapieausbildung „durchzahlen“ kann. Im Laufe der Ausbildung sind zwar 200 Stunden Selbsterfahrung (plus 50 Stunden im Propädeutikum) vorgeschrieben, aber ohne einen daraus folgernden „Erfolgsnachweis“ für den Kandidaten. Heißt das, man braucht die 250 Stunden Eigentherapie nur artig „abzusitzen“ und bekommt den Schein zum Therapieren schon ausgehändigt? Soll das vielleicht eine bessere Qualifikationsgarantie sein als der gesunde Menschenverstand eines Gert Postel? Ist es nicht beschämend, dass man zum Helfen eine staatliche Lizenz brauchen soll? Heißt es nicht so schön: Wer heilt, hat recht – egal, ob mit oder ohne staatlichem Zeugnis?! 

Wie mir von ein paar befreundeten Ärzten, die derzeit in Deutschland in Spitälern arbeiten, berichtet wurde, wurden seit dem „Fall“ Postel die Zeugnis-Kontrollen bei jungen Ärzten drastisch verschärft - jeder Neubewerber wird streng nach seinen Dokumenten durchleuchtet. Aber ich frage mich: muss es uns nicht zu denken geben, dass ein echter von einem gefälschten Psychiater/Psychologen-/Psychotherapeuten nur durch ein Stück Papier unterschieden werden kann und nicht aufgrund seiner fachlichen - geschweige denn menschlichen - Qualifikation? 

Was bedeutet das für den gesamten therapeutischen Berufsstand und dessen Selbstverständnis? Was bedeutet es für das Phänomen (Psy-cho-) Therapie als ganzes? Kann also jeder ein Therapeut sein? Gibt es so etwas wie einen Placeboeffekt bei Therapeuten und Heilern „wenn ich nur fest daran glaube, dann kann ich auch wirklich heilen, dann bin ich auch ein Heiler“? Der Glaube soll ja bekanntlich Berge versetzen. Und stimmt es vielleicht doch, dass im gegenseitigen sozialen Verkehr der „Habitus“ entscheidet, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu einst definierte - „die Kutte macht den Mönch“ bzw. in diesem Fall: der weiße Mantel den Arzt? 

Ist die Figur des Gert Postel nicht auch ein typisches Produkt der heutigen postmodernen Imagegesellschaft, wo man mehr auf den Schein als auf das Sein schaut, wo es auch keine absoluten Wahrheiten mehr gibt und in der sich jeder selbst zum Herrn über die (eigene) Wirklichkeit machen kann – anything goes, alles ist erlaubt, wenn es die soziale Umwelt nur richtig glaubt?  

Eine konkrete Message hat mir Gert Postel jedenfalls jetzt schon mitgegeben: im Grunde genommen kochen alle nur mit Wasser, und man braucht sich vor irgendwelchen sogenannten „Experten“ nicht schamvoll zu verstecken; kein „Fachmann“ kann sich anmaßen, mehr über das menschliche Seelenleben zu wissen als man selbst! Und das ist eine beruhigende Erkenntnis und hat mir letztlich auch mehr Selbstbewusstsein und Halt für mein Leben gegeben.  
 
Epilog:  
 
Zum Abschluss ein weiteres abschreckendes Beispiel: In einem Testversuch sollte an einer amerikanischen Universität erhoben werden, ob menschliche Psychotherapeuten bei Klienten mehr Erfolg haben als „Therapie-Computer, mit denen Probanden eine Therapiestunde lang schriftlich per Tastatur kommunizieren sollten. Auf der einen Hälfte der Computer war eine spezielle Psychotherapie-Software installiert, die stereotype Therapie-Phrasen produzierte. Die andere Hälfte der Computer wurde hingegen unmerklich von echten menschlichen Therapeuten fernbedient, die wie in einer wirklichen Therapiesitzung live nach bestem Wissen und Gewissen antworteten.  
Nach diesem Experiment sollten die Testpersonen zuordnen, ob die Antworten mechanisch oder menschlich waren. Das Ergebnis war erstaunlich und niederschmetternd zugleich: zwar wurden alle „Therapie-Computer“ als solche erkannt, jedoch beinahe 50 Prozent der menschlichen Therapeuten wurden für Computer gehalten!  
 
Man sieht: die Grenze zwischen wirklich und falsch, zwischen Realität und Illusion ist nur hauchdünn.- Die Kutte macht also doch den Mönch - oder?!