2001
© Tagesspiegel
22.11.2001 - Seite 11
Der
Post-Doc
Die
Abenteuer des Gert Postel, Arzt und Hochstapler
von
Thomas Loy
Doktorspiele, Szene 23: Im Juli 1996 sitzt der Postbote
und selbsternannte Arzt Gert Postel beim sächsischen Sozialminister
Dr. Hans Geisler. Das Geschäftliche anlässlich der Betrauung
mit einer Chefarztstelle und C3-Professur für forensische Psychiatrie
ist erledigt. Da kommt der Herr Minister ins Plaudern und erzählt
eine seiner "pointenlosen Geschichten": Er wohnte zufällig nahe
der Unterbringungsanstalt in Arnsdorff, aus der ein Kinderschänder
ausgebrochen war. Da setzte er sich eines Tages in sein Auto und fuhr
einfach mal hin, um sich persönlich ein Bild zu machen, und ging
an die Pforte und sagte: Ich bin der Minister. Da schallte es aus
der Pforte zurück: Ich bin der Minister - kann doch jeder sagen.
Man verweigerte ihm den Zutritt. Danach, so erinnert sich "Dr. Dr.
Gert Uwe Postel" bei seiner Lesung im Bahnhof Friedrichstraße,
bricht ein großes Lachen aus. Der Minister lacht, weil er für
einen Hochstapler gehalten wurde. Und der Hochstapler lacht, weil
der Minister gerade ihm diese Geschichte erzählt.
Gert Postels innere Genugtuung kann man sich nur als einen großen
Fanfarenzug vorstellen. In diesem Moment erhebt er sich über
die gesamte Führungskaste Sachsens, er lacht über alle in
langen Jahren der Plackerei errungenen akademischen Grade und Titel,
er thriumphiert über die Errungenschaften einer Disziplin, die
er für kompletten Nonsens hält. Der Postbote Gert Postel
ist am Ziel seiner Hochstapler-Existenz. Er hat die "Stützen
der Gesellschaft" vorgeführt wie kaum ein anderer vor ihm. Er
hat ihnen einen Spiegel vorgehalten, sagt er.
Gert Postel hat etwas von einem Erlöser. Die Kranken, Enttäuschten
und Beladenen kommen zu seinen Lesungen und fühlen sich bald
erleichtert. Die erdrückende Last der ärztlichen Geheimlehren
ist von ihnen genommen. Denn Gert Postel - Postbote, Student der Theologie,
praktizierender Psychiater und Neurologe, Knacki, Buchautor - hat,
so glauben sie, den Nachweis erbracht: Nicht er ist der Aufschneider,
sondern all die anderen.
Im Tweedjackett, dazu dunkle Hose und schwarze Schuhe, "geputzt, aber
nicht glänzend", tritt er vor sein Publikum im Restaurant "Meeting
Point", so wie er früher vor den Referenten und Abteilungsleitern,
seinen "Freunden im Ministerium", zum Vorstellungsgespräch antrat.
Seine "Doktorspiele - die Geständnisse eines Hochstaplers" sind
humorig geschrieben, aber oft viel zu gespreizt und prätentiös.
Er gesteht, alles aus gekränkter Eitelkeit, aus Rache am akademischen
System getan zu haben, das ihn nicht mitspielen lassen wollte. Dabei
konnte er genausogut, nein: noch viel besser konnte er schlaumeierisch
reden und gefälliger antichambrieren als die ganzen gelackten
Anwälte und Fachärzte, die zum Bekanntenkreis seiner Freundin
am Amtsgericht in Bremen gehörten.
Postel, der Postbote, wollte zeigen, dass alles Akademische nur leeres
Wortgeklingel ist. Das System, das Respekt erheischt und Milliardensummen
verschluckt, dresche fuderweise leeres Stroh. 1982 fälscht Postel
ein paar Dokumente und bewirbt sich als Dr. Dr. Clemens Bartholdy
erfolgreich um den Posten des stellvertretenden Amtsarztes in Flensburg.
Er reformiert die Einweisungspraxis in psychiatrische Kliniken, schreibt
Gutachten und hält Vorträge vor Fachkollegen. Niemand merkt,
dass er eigentlich keine Ahnung hat. Der Schwindel fliegt zufällig
auf, und Postel erhält eine Bewährungsstrafe - ein mildes
Urteil, weil er keinen Schaden angerichtet habe. Nach der Wende versucht
es Postel noch einmal. 1995 wird er - diesmal unter richtigem Namen
- Oberarzt im psychiatrischen Krankenhaus im sächsischen Zschadraß.
Seine gefälschten Empfehlungen und Diplome sind ausgezeichnet,
und auch mit seiner Arbeit ist man mehr als zufrieden. Postel lügt,
dass sich die Balken biegen, er tut es kaltblütig und gewitzt.
Bei einer Weiterbildung, so behauptet Postel, habe er unter Fachkollegen
die "bipolare Depression dritten Grades" eingeführt. Der ausgemachte
Blödsinn sei widerstandslos geschluckt worden. "Psychiatrie ist
Sprachakrobatik plus ein wenig Inszenierung." Das begrenzte Fachidiom
lerne sich schnell. Postel hält sich dabei nicht für besonders
intelligent. Sagt er. Aber diejenigen, die auf ihn reinfielen, hält
er für noch dümmer. Der psychiatrische Gutachter, der ihm
1999 im zweiten Prozess eine "narzisstische Persönlichkeitsstörung"
attestierte, wird von ihm genauso abgekanzelt.
Eine Dame aus dem Publikum, "vom Verband der Psychiatrieerfahrenen"
ist jedenfalls sehr dankbar und bittet ihn dringend weiterzumachen.
Übrigens: den Minister Geisler finde er ganz nett, sagt Postel.
Der habe in dem ARD-Film über sein Hochstapler-Leben, der im
nächsten Jahr ausgestrahlt werden soll, gesagt, dass er ihn,
Postel, sofort wieder einstellen würde - "wenn seine Zeugnisse
in Ordnung sind..."
Gert
Postel: Doktorspiele - Geständnis eines Hochstaplers, Eichborn-Verlag
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